Paddeln mit Tierchen in Florida
Vergnügungspark für Tourenpaddler
(Uwe Kohlmann, Mai 2016)
Wenn ich schon 10 Stunden fliegen muss, dann soll sich das auch lohnen. So in etwa hat die Idee, meine Geschäftsreise nach Orlando etwas zu verlängern, ihren Ursprung genommen. Und da ich nicht so sehr der Typ für Schlange stehen in Vergnügungsparks bin und Wasser lieber eine Handbreit unterm Kiel statt in einer Mega-Wasserrutsche genieße, begann ich mit der Internetrecherche zum Thema Paddeln in Florida. Relativ schnell gerät man dabei auf die Seite paddleflorida.net … und es wird klar, dass Florida ein Paradies nicht nur für Seekajaker ist (was man aufgrund der Lage durchaus erwarten konnte) sondern auch für Tourenpaddler. Diese private Webseite ist zwar nicht überall aktuell, aber jede Tour ist gut beschrieben, mit Hinweisen zu Verleihern versehen und schön mit Bildern dokumentiert.
Nachdem der geschäftliche Teil der Reise (5 Tage Konferenz, tiefgekühlt, ohne Sonnenlicht) vorbei war, ging es mit dem Mietwagen schnurstracks 1 Stunde nach Norden nach Orange City, wo ich mir den Blue Spring State Park als erste Station ausgeguckt habe. Die Blue Spring (dt. Blaue Quelle) ist eine von vielen kartesischen Quellen, die für Mittel-Florida so typisch sind. Gespeist von weit – mitunter hunderten von Kilometern – entfernten Regenfällen schießen an vielen Stellen des subtropischen Regenwaldes Millionen von Litern Quellwasser an die Oberfläche. Im Falle der Blue Spring sind das über 16 Mio. Liter pro Stunde (oder 4,55m³ pro Sekunde) … genug für eine Handbreit Wasser! Das Wasser ist beim Austritt sehr nährstoffarm und daher kristallklar sowie kontinuierlich 22° warm. Daher ist diese Quelle auch ein bevorzugtes Winterquartier der berühmten Manatees, der in Florida heimischen atlantischen Seekühe. Das alles klang also sehr interessant, zumal hier auch ein Kanuverleih stationiert ist.
Der Beginn der Tour war allerdings etwas enttäuschend. Die Fahrt von Orlando kann man sich als eine Stunde Gewerbegebiet vorstellen. Die Quelle selbst ist ein Bestandteil eines State Parks, eines staatlich überwachten Naturschutzgebiets, mit Eintrittsgebühren (5U$). Die Quelle sah zwar im Prinzip toll aus, war aber statt mit den erhofften Seekühen, mit Dutzenden von Menschen gefüllt: die Quellen werden als natürliche Swimming Pools genutzt … daher fühlt man sich zunächst eher in einen Stadtpark versetzt als in den erwarteten Urwald. Dass die Kajaks dann kurze Sit-on Tops waren und mich die Vermieter wie ein Mondkalb ansahen, als ich das Boot für einen Tag mieten wollte, nahm mir dann fast den letzten Mut. Schlusspunkt war der Kommentar: „Äh, die Route, die du dir ausgesucht hast, sind wir noch nie gepaddelt, keine Ahnung ob das geht“. Egal, jetzt war ich schon mal da und der Rückflug ist erst in vier Tagen.
Doch schon kurz nach dem Ablegen in den dicht mit Yachten und Ausflugsbooten befahrenen St. John’s River brachte ein tieffliegender großer Vogel den Stimmungsumschwung: ein Weiskopfseeadler keine 5 Meter über mir, der in seinen Horst am Flussrand flog. Ab diesem Moment wurde alles perfekt: keine 500m von der Einsatzstelle nahm der Verkehr ab und die Vogeldichte zu. Es gab Reiher in allen Größen, in weiß, blau und grau, Falken, Fischadler, Geier und sogar eine der besonders schönen Schwalbenweihen. Vor dem Bug brodelte es vor Leben und ich verstand, warum es hier so viele Angler gab. Besonders beeindruckend war im Mündungsgebiet des Quellflusses (Spring Run) in den St. John’s River das dichte Auftreten des Florida-Knochenhechts.
Weiter ging’s auf dem St. John’s River zur Nordspitze der Hontoon Island, die ich umrunden wollte. Nach einem kurzen Stück westwärts im Lake Beresford ging es in die Mündung des Hontoon Dead Rivers, wo ich mich urplötzlich völlig alleine fand. Der ganze Trubel war weg und die einzige nicht gefiederte Gesellschaft, die mir blieb, waren die vielen sonnenbadenden Schildkröten. Übrigens war mir nicht ganz klar, ob ich die Flüsse bergauf oder bergab paddelte, da es keine sichtbare Strömung gab. Weiter ging es durch eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch der Subtropen: schwüle Luft, dunkles Wasser, flechtenbehangene (das Zeug nennt sich Spanisches Moos) Bäume, Palmen, Lianen … und ein Alligator. Mir war natürlich klar, dass es die Viecher hier gibt, aber wenn man dann Auge in Auge mit so einem Tierchen ist, wird’s einem doch etwas blümerant. Ok, das Tier war 10m entfernt und höchsten 1m lang, aber immerhin … wo der ist können auch Mama und Papa sein.
Nach ein paar Kilometern ging es dann in die einfach zu findende Mündung des Snake Creek, der mich nach 5km wieder zum St. John’s River in die Nähe der Einsatzstelle führen sollte. Der Creek machte seinem Namen alle Ehren und schlängelte sich durch die wuchernde Botanik … und ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der eine oder andere Baumstamm der da trieb, mir erst zublinzelte und dann abtauchte. Sicher konnte ich mir dann ein wenig später sein, da manche dieser Baumstämme bei meiner Annäherung behäbig ins Wasser glitten … und die hatten eindeutig schon die Länge meines Kajaks.
Etwas beschleunigt setzte ich meine Reise auf dem Creek fort, der immer enger wurde. Die Wasserpflanzen engten die Fahrrinne zunehmend ein und ich erinnerte mich an die Worte der Verleiher … wenn ich jetzt nach über 3 Stunden umkehren muss wird das sicher kein Spaß. Als die Fahrrinne nur noch 1m breit war und ich schon wieder das charakteristische Platschen eines badengehenden Alligators hinter mir hörte öffnete sich zu meiner Erleichterung der Creek und ich war wieder auf einem Seitenarm des St. John’s River. Und nach einer weiteren Viertelstunde auch wieder zurück an meinem Ausgangspunkt. Das Verleihpersonal reagierte auf meine Frage hinsichtlich der Alligatoren mit: „jaaaa, manchmal hat’s viele , manchmal weniger, mal große, mal weniger große“.
Ich beschloss, mich bei der nächsten Tour vor Abfahrt bei den Parkrangern über die Alligatorensituation zu erkundigen. Diese Tour führte mich zum Alexander Run, dem Abfluss der gleichnamigen Quelle. Anders als der Blue Spring Run, der nach wenigen 100 Metern schon in einen großen Fluss mündet, mäandert der Alexander Run über 10km durch subtropischen Regenwald bis er auch wieder in den St. John’s River mündet. Ich wollte mal schauen wie weit ich komme und dann umkehren. Nach dem Einsetzen an der Badeanstalt – ich wusste ja was mich erwartet – war ich recht schnell wieder alleine. Die Vögel zwitscherten, die Schildkröten aalten sich in der Morgenluft, und mein epischer Sonnenbrand, den ich mir Tags zuvor eingefangen hatte, brannte auf den Füßen. Kein Alligator war zu sehen, obwohl ich mutmaßte, dass dieses tiefe Bellen oder Röhren (in etwa wie wenn ein großer Hirsch versucht eine Gans zu imitieren) durchaus von diesen possierlichen Tierchen kommen könnte. Die Ranger hatten mich aber beruhigt. Wenn man beim austreten nicht aus Versehen auf einen drauf tritt oder sie absichtlich reizt, seien die Alligatoren ganz cool. Allerdings sind sie während der Brunftzeit etwas territorial, und ja, jetzt wäre Brunftzeit. Wenn also eins dieser Tierchen klar macht, das es sich gestört fühlt sollte man einen großen Bogen machen. Wie man das erkennt? Oooh, das erkennen Sie schon …
Die Gedanken an Alligatoren wurden allerdings schon bald verdrängt durch die simple Frage nach dem Weg. Das Flussbett war zwar breit, aber völlig be- und verwachsen sowie durchsetzt mit kleinen Inselchen. Aber immer wieder fand sich ein Weg. Manchmal schloss sich die Blätterdecke über dem Fluss und vermittelte wildes Dschungelgefühl. Ich paddelte nach wie vor völlig alleine, gefühlte 100 Meilen entfernt von der Zivilisation … einfach zum Träumen … bis zu dem Moment als direkt vor meinem Mini-Sit-On-Top 3m eindrucksvolle Muskeln mir klar machten, dass sie sich gereizt fühlten. Da 2000 Jahre Zivilisation in solchen adrenalingeschwängerten Situationen hier nur noch die Alternative „Flucht“ ließen, paddelte ich wie wild rückwärts, weg von diesem schwanzpeitschenden Vieh. (Die traditionelle Alternative „Kampf“ hätte angesichts meines winzigen Schweizer Messers als alleiniger Bewaffnung mutmaßlich zu einem tödlichen Lachkrampf dieses beachtlichen Vertreters einer bedrohten Spezies geführt, weshalb ich davon absah). Als ich wieder ruhig atmen konnte, beschloss ich, dass genau dies der geeignete Umkehrpunkt sei, an dem ich sowieso wieder zurückpaddeln wollte. Angst? Ich? Pah! Der Rückweg war unspektakulär, obwohl ich praktisch nur noch Brunftlaute von Alligatoren um mich hörte … kein Vogelgezwitscher.
Meine dritte Tour sollte der Höhepunkt werden: der Juniper Spring Run gehört angeblich zu den Top 25 Touren der USA. Das klang so als ob es schon viele Überlebende dieser Tour gegeben hat, was mich ungemein beruhigte. Auch hier ist der Ausgangspunkt eine öffentliche Badeanstalt, die sich in einem Quellkessel befindet. Allerdings ist der Ausstoß dieser Quelle deutlich geringer, so dass sich der Run als kaum drei Meter breites, glasklares Bächlein darstellt. An der Verleihstation dürfen nur 10 Boote pro 30 Minuten losfahren und es wird streng kontrolliert, ob man Verpackungsmaterial dabei hat, das als Müll weggeworfen werden kann. Also: Wasser in Thermoskannen oder Feldflaschen umfüllen (meine geliehene war leider undicht, so dass ich am Ende Durst wie ein Hecht hatte) und das Essen in Tupperschüsseln packen. Als Bonbon gibt es an dieser Verleihstation sogar einen Shuttleservice nach etwa 13km.
Nach einer kurzen aber notwendigen Beruhigungsrede der Ranger („Hier ist noch niiiie was mit Alligatoren passiert, die sind cool“) ging‘s los. Da ich schon um 9 Uhr vor Ort war, war ich auch heute wieder alleine auf dem Wasser … und war tief beeindruckt. Wenn in Disneyworld ein Dschungelbächlein nachgebaut werden würde, dann wird es genau so aussehen … oder für den Mannheimer: ein gemächlich dahinströmender Bach mitten durch’s Pflanzenschauhaus. Palmen, exotische Vögel, Riesenschmetterlinge, Schildkröten … und dann sogar ein Otter genau vor meinem Boot. Er hat sich nicht mal beeilt wegzukommen und hat in aller Ruhe beendet was immer er da vor mir auch machen wollte und ist dann an Land getapst. Natur aus dem Bilderbuch!
Sogar eine kurze Wildwassereinlage gab es, die zwar – bis auf zwei Felsen – nicht schwierig war … aber im Kehrwasser lag – natürlich – ein fetter Alligator. Zugegebenermaßen: er war deutlich cooler als ich, als ich auf Armlänge an ihm vorbeitrieb. Um ehrlich zu sein: er hat nicht mal geblinzelt.
In der Folge öffnete sich der Wald, der bis dahin praktisch eine geschlossene Blätterdecke über dem Bach bot, zu einer Buschlandschaft. Dies gefiel offensichtlich auch einer Reihe von kleinen und großen Alligatoren, die sich alle paar hundert Meter sonnten … alle ganz cool. Auch wenn hier jetzt der Eindruck entstehen sollte dass ich die ganze Fahrt über auf Alligatoren fixiert war – ein entwicklungsgeschichtlich sehr ursprünglicher Teil meines Gehirns war das mit Sicherheit – war doch ein deutlich größerer Teil meines Großhirns damit beschäftigt, die unglaublich schönen Eindrücke um, an und in dem Fluss aufzunehmen und zu verarbeiten. Mit Sicherheit ist der Juniper Run eines der Highlights meines Paddlerlebens und die Fahrt ging nach knapp 4 Stunden viel zu schnell zu Ende.
Da ich noch einen Tag Zeit hatte und noch keine Seekühe angetroffen habe, wollte ich eigentlich noch Richtung Cocoa Beach, um in der Lagune an einer geführten Manatee Tour teilzunehmen. Weil aber Abends mein Flug nach Hause ging und ich mir schwer vorstellen konnte, nach einer mehrstündigen Tour im Brackwasser bei 30 Grad ungeduscht meinen kuschligen Platz in der Economy Class einzunehmen, habe ich es bei einem Besuch auf Merritt Island belassen. Merrit Island ist ein großes Naturschutzgebiet, das seine Existenz Cape Canaveral, dem benachbarten amerikanischen Weltraumbahnhof, verdankt. Eine Reihe von angelegten Trails (Pfaden) führt hier durch das Dickicht mit interessanten Informationen zu diesem Lebensraum. Der Höhepunkt war jedoch der eigentlich recht unspektakuläre Zufluss der Lagune. Direkt neben einem Parkplatz vergnügten sich hier ein Dutzend Seekühe … und damit es richtig kitschig wirkt sind im Hintergrund – nur ein paar Meter entfernt – ein paar Delphine gesprungen. Nachdem ich mir das eine Stunde lang, mit zufriedenem Lächeln angeschaut habe, konnte ich in dem Wissen nach Hause fliegen, dass es in Florida auch Naturerlebnisse ohne Alligatoren gibt.