20.06.15

42km

Erstmals auf dem Bodensee-Kanu-Marathon
Juni 2015
(Uwe Kohlmann)

Einlauf kanumarathon

Da es aus zeitlichen Gründen dieses Jahr nicht mit dem Weser Marathon und der gerne damit verbundenen Werra-Ralley geklappt hat (das Wetter war dieses Jahr dem Hörensagen nach auch wirklich mies) , musste dieses Jahr eine andere Veranstaltung für’s Wanderpaddlerego herhalten. Der Bodensee-Kanu-Marathon war dafür wie geschaffen:
Mitten im Juni sind die Chancen auf schönes Wetter deutlich größer als Anfang Mai, der Bodensee ist näher als die Weser und man hat schon etwas mehr Trainingskilometer in der Armen.

Badische Gründlichkeit

Der Bodensee-Kanu Marathon wird von Mitgliedern des Bodensee-Kanu-Rings (einem Zusammenschluss verschiedener Kanuvereine am Bodensee) „högschtprofessionel“ organisiert … und das ist absolut ernstgemeint: Webseite, Registrierung, Unterkunft- und Verpflegung auf den Gelände des gastgebenden Vereins Kanu-Club Singen, die Zusammenarbeit mit DLRG und Wasserschutzpolizei, Begleitboote … alles sehr beeindruckend!

Wir sind Freitagabend im zu erwartenden Wochenenverkehr angereist. Im Gegensatz zum Weser-Marathon handelt es sich hier nämlich um ein echtes Rennen mit Massenstart, und zwar um 9 Uhr am Samstagmorgen. Um 6 Uhr aus dem Zelt, eine halbe Stunde später das gute Frühstücksbuffet im Vereinshaus der Singener … und um 8 Uhr die Rennbesprechung. Die Regeln und Sicherheitsmaßnahmen werden verkündet und dann stellt auch schon die typische Wettkampfstimmung ein: alle 5 min sanitär entspannen, nervöse Gespräche und vor allem die Zweifel: etwa die Hälfte der knapp 200 Teilnehmenden fährt Rennboote oder die schnellen Surfskis … und der durchschnittliche Bauchumfang ist erheblich geringer als an der Weser während die Brustkörbe deutlich beeindruckender sind.

Um 9 Uhr geht’s dann bei grauem Himmel in unserem ersten Massenstart im Boot los. Barbara fährt den Halbmarathon und ich habe mir die vollen 42km vorgenommen, so dass wir uns bald aus den Augen verlieren. Während die beeindruckenden Brustkörbe offenbar voll Gas geben, finde ich mich recht schnell in einer Gruppe von Ü40-Paddlern in Seekajaks wieder. Im einsetzenden Regen fährt aber jeder sein eigenes Tempo, bei mir etwa 9,5 km/h für die ersten 10km bis zur Insel Reichenau. Dann trennen sich die Routen: der Halbmarathon kehrt zurück zum Start nach Iznang, die anderen queren jetzt den See bei 3 Bft Gegenwind Richtung Öhningen.

Seekajaks in ihrem Element

Sehr zur Freude von uns Seekajakkapitänen müssen einige Konkurrenten in den kippligen Rennbooten und unerfahrene Surfskipiloten in den aufkommenden Wellen Gas rausnehmen. Tatsächlich haben einige Teilnehmer das Rennen sogra abgebrochen, zum großen Teil allerdings, weil sie ohne Spritzdecke gefahren sind und ihnen das Boot vollgelaufen ist. Uns jedoch haben die „wilden“ zweiten 10km nicht nur Spaß gemacht, sondern auch nach vorne gebracht.

Nun erfuhr ich allerdings ein erstaunliches physikalische Phänomen: ich bin der festen Überzeugung, dass der letzte Kilometer vor der Wendemarke in einem besonders gedehnten Bereich des Raum-Zeit-Kontinuums lag und gefühlte 80km lang war. Das Wetter war miitlerweile bestens und die 200 voll auf Regen eingestellten Teilnehmer testeten die Hypothese, das geteilter Sonnenbrand, halber Sonnenbrand ist … ist er nicht!

In dieser Phase durfte ich auch die Erfahrung machen, dass der Linienverkehr der Bodenseeschiffahrt nicht davon ausgeht, dass Kajaks das Einfahren in die Fahrtroute vermeiden … sie gehen davon aus, dass Kajaks sich in Luft auflösen! Unsere Ü40-Gruppe sah sich plötzlich mit einer beachtlichen Wasserwand eines 5m an uns vorbeirasenden Schiffes konfrontiert. Definitv nix für Anfänger!

Man redet nicht viel und leidet still

Tja, die Gruppe: man redet nicht viel miteinander … eigentlich gar nichts, da sich bei der Wende – angesichts bereits schmerzender Arme – die meisten darauf konzentrierten in Würde, die zweite Hälfte anzugehen. Zur Beruhigung: an der Wendemarke hat man schon deutlich mehr als die Hälfte … aber das wusste ich nicht..

Wenn der Mann mit dem Hammer kommt

Um mich von meinem beginnenden Elend abzulenken, betrachte ich mir vermehrt die Landschaft. Der Marathon führt praktisch auf eine Rundtour durch den unteren Teil des Bodensees. Dabei ist man nie sehr weit vom Ufer entfernt und kann die schöne Landschaft des Voralpenlandes und das Treiben auf dem Wasser genießen … oder man kann sich verbissen vornehmen, sich nicht von „so einem“ (ein ganz normaler Paddler wie du und ich) überholen zu lassen und „den Typ da vorn“ doch noch zu „einzusacken“
Ich habe auf den letzten 15km keinen mehr eingesackt und wurde nicht nur von zwei fröhlich plaudernden Damen meines Alters locker überholt. Da halfen weder die Müsliriegel noch das isotonische Sportgetränk, die einem an der Wendeboje gereicht wurden.

Die letzten Kilometer

Bei Ententeichbedingungen ging es auf die letzten Kilometer. Zu allem Überfluss muss man jetzt auch noch die Bojen umfahren, die das gefühlt größte Naturschutzgebiet der Welt abgrenzen.

Ich habe mittlerweile jeglichen Kampf gegen andere aufgegeben, da ich völlig auf den Kampf mit mir fixiert bin. Aber kurz nach der letzten Boje („abgeschafft gehören diese Naturschutzgebiete“ sagt mein rechter Oberarm zum linken und mein Ökogewissen zeigt sich schockiert) sieht man schon die Bojen des Zieleinlaufs. Ich werde nochmal von ein paar Paddlern mit Restkörnern im Zielsprint überholt und dann ist es geschafft: nach 5:11h und 42 km komme ich vollgepumpt mit Glückshormonen als 36. von 51 Paddlern meiner Bootsklasse an. Der Schnellste hatte 3:24 gebraucht … hatte aber wohl das Naturschutzgebiet ignoriert, was mich und die anderen zu gefühlten Siegern macht. Meine Ü40-Gruppe war auch nur 10min vorher da, da war definitiv noch mehr drin.

Egal, es hat Riesen-Spaß gemacht und ich habe ein fettes Grinsen auf dem Gesicht. Barbara ist natürlich nach dem Halb-Marathon schon im Ziel und empfängt mich mit Weizenbier und Käsekuchen … und nach einer Stunde gemeinsamen Jammerns mit den benachbart herrumliegendenden Ex-Konkurrenten ist man auch schon wieder fit.

Bootstesten und Genußpaddeln

Auf dem Gelände gibt es nun viele Möglichkeiten den Tag oder das Wochenende ausklingen zu lassen. Wer vom Paddeln noch nicht genug hat (und wer hat das schon?) kann bis Sonntagmittag die Boote einer Reihe von Anbietern, darunter Lettmann und Neumann, aber auch die Surfskihersteller Fenn und epic testen … oder zu einer ruhigen Tour um den Zeller-See Richtung Radolfzell aufbrechen.

Wir kommen aber auf jeden Fall wieder … besser trainiert und ehrgeiziger!